Vor einiger Zeit habe ich etwas Wunderbares erfahren: Es gibt ein Paradies, wo man hinreisen kann, um dort für immer zu leben. Ja, da möchte ich hin, es muss dort wunderschön sein. Ich sehne mich nach diesem Paradies. Also bereitete ich mich auf die Reise dorthin vor.
Ich brachte mein Fahrzeug in Ordnung, tankte und erhielt Ratschläge für die Reise. Man zeigte mir ein besonderes Navigationsgerät, das ich brauche, um das Paradies zu finden. Eigentlich hat es jeder Mensch, ist aber wie eine Pflanze, die man pflegen muss. Bei den meisten Menschen ist es verkümmert und die Batterien sind leer. Ich brachte mein Navigationsgerät mithilfe der Anleitung, die ich erhielt, in Ordnung und stellte die Funkverbindung her. Es ist etwas ganz Besonderes, das aus dem Paradies stammt und von unserem Erschaffer gemacht wurde. Ein großes Geheimnis. Doch es hat eine Art Funkverbindung zu unserem Erschaffer und kann uns wie ein normales Navigationsgerät unter den gegenwärtigen Verkehrsverhältnissen angepasst optimal führen.
Das Paradies zu finden ist eigentlich nicht schwer, wenn man sich immer am Navigationsgerät orientiert. Aber Vorsicht! Die Reise ist weit und auf dem Weg treten unerwartete Dinge auf, und es gibt da jemand, der nicht möchte, dass wir ans Ziel kommen. Er arbeitet mit allen Raffinessen, um uns abzulenken, sodass wir uns nicht mehr am Navigationsgerät orientieren und dann falsch fahren und uns verirren. Wir könnten einem Trugschluss erliegen, weil die korrekte Fahrroute nicht immer auf einer gut ausgebauten Straße, sondern auf einem schmalen Weg entlangführt.
Ich nahm mir das alles zu Herzen, dankte meinen Beratern und bereitete meine Reise gut vor.
Nun war es so weit. Ich fuhr los. Das Navigationsgerät führte mich zu einer Autobahn-Zubringerstraße. Dort war sehr wenig Verkehr. Trotzdem stand man öfter vor roten Ampeln und es dauerte lange, bis sie grün wurden. Ich wunderte mich, da ja kaum Verkehr war. Haben diese Ampeln überhaupt einen Sinn? Nach einiger Zeit erreichte ich dann doch die Autobahn.
Auf der Autobahn waren dann doch einige unterwegs, dank zahlreicher Zubringerstraßen, die auf einem langen Streckenabschnitt verteilt waren. Jede brachte zwar nur wenige Reisende, aber in der Summe wurden es dann viele. Alle waren auf dem Weg in Richtung Paradies.
Auf dieser Autobahn gab es nun einen besonderen Service, damit sich keiner verirrt. Überall waren Lautsprecher angebracht, aus denen eine Stimme kam, die genaue Anleitung bot.
Man erhielt Anleitung, wie man sich verhalten sollte und besonders, dass man stets auf der Autobahn bleiben und niemals die Ausfahrt nehmen sollte. Denn das wäre das Schlimmste, was man machen könnte und man könnte so niemals ins Paradies kommen, sondern würde schnell zugrunde gehen. Denn außerhalb der Autobahn lauern riesige Gefahren und es wartet eine feindselige Welt auf uns. Man wäre dann völlig orientierungslos, da es auch die Anleitung aus den Lautsprechern nicht mehr gäbe.
Dann bekam jeder Einzelne an einem Rastplatz auch ein Gerät zur Kommunikation, eine Art Handy, ins Auto gereicht. Man hat entlang der Autobahn ein W-LAN-Netz eingerichtet, damit man sich mit allen anderen Autofahrern unterhalten kann.
Allerdings werden die Gespräche abgehört. Man darf nur das sagen, was vorgegeben wird. Sonst drohen Strafen. Eine Strafe ist, dass man zeitweilig nicht mehr ins W-LAN-Netz darf. Die schlimmste Strafe ist, dass man rausfahren muss wie die, die das auch noch freiwillig tun. Da sie nicht ständig alle Gespräche abhören können, gibt es auch eine Abhörtaste. Wenn ein Teilnehmer denkt, dass sein Gesprächspartner nicht das Richtige sagt, dann drückt er auf die Abhörtaste, damit das Gespräch sofort abgehört wird. Von dieser Möglichkeit, das Autobahnpersonal zu unterstützen, machen die meisten regen Gebrauch.
Die Fahrt auf dieser Autobahn zog sich lange hin. Aus den Lautsprechern kam immer wieder in endloser Wiederholung der eindringliche Rat: »Bleib auf dieser Straße, verlass sie nicht. Lass dich nicht von denen täuschen, die diese Straße verlassen. Vertraue der Führung auf dieser Autobahn. Die Straße führt direkt ins Paradies.«
Wozu brauche ich jetzt noch ein Navigationsgerät? Ich erhalte alles, was ich brauche, in absolut perfektem Umfang. Was kann mir da das Navigationsgerät noch zusätzliches sagen? Es kann doch nur mit dem übereinstimmen, was man gesagt bekommt, und wenn nicht, wäre es scheiße. Man darf ja nicht abweichen, das erlauben sie ja nicht. Ich lass es also lieber aus. Oder hast du eine bessere Idee?
Ich sehe, wie einige die Ausfahrt nehmen und rausfahren. Ich schüttle den Kopf. Was sind das doch für Dummköpfe! Sie haben eine so gute und eindringliche Wegweisung durch das Autobahnpersonal und dennoch sind sie so eigenwillig, dass sie nicht gehorchen wollen. Sie fahren raus in die Wüste und verirren sich dann hoffnungslos. Wie kann man bloß so dumm sein! Ein kurzer Blick zur Seite zeigt mir, dass es außerhalb der Autobahn wirklich nur eine ganz öde Landschaft gibt. Da wächst nichts. Sie werden bestimmt auch verhungern. Hier auf der Autobahn bekommen wir in regelmäßigen Abständen auf Rastplätzen immer ein üppiges Essen ins Auto gereicht.
Nachdem ich den Rausfahrenden den Vogel gezeigt habe, bin ich mir noch sicherer, hier richtig zu sein, und mein nun überflüssig gewordenes Navigationsgerät habe ich schon fast vergessen. Und so geht es immer weiter, ja endlos auf der Autobahn.
Es ist so dunkel geworden. Ob es schon Abend ist oder ob es an den dicken Wolken liegt, weiß ich nicht. Der Nieselregen hat schon seit längerem eingesetzt und er wird immer unangenehmer. Eine trübe Waschküche ist das. Ich frage mich, wie lange das noch so weitergeht. Eigentlich wollte man ins Paradies. Aus den Lautsprechern ertönt aufmunternder Gesang. Man redet von Frieden und Sicherheit im Paradies. Schon jetzt geht es uns gut und spüren den Frieden und die Sicherheit.
Es wird immer trüber. Führt die Straße wirklich ins Paradies? Ich werde ein wenig unsicher, versuche aber meine Gedanken schnell zu verscheuchen. Soll ich nicht doch mal mein Navigationsgerät verwenden? Mir kommt es so vor, als ob wir uns vom Paradies entfernen. Schweren Herzens schalte ich das Navigationsgerät ein.
Das Navigationsgerät sagt mir, dass es höchste Zeit ist, herauszufahren und ich unbedingt die nächste Ausfahrt nehmen muss. Eigentlich hätte ich schon viel früher rausfahren sollen, aber so geht es mit einem kleinen Umweg gerade noch.
Nun, was soll ich machen? Man hatte mir doch erklärt, dass ich immer auf das Navigationsgerät hören soll und mich nicht ablenken oder durch anderen Rat davon abbringen lassen darf. Denn ein Feind ist da, der nicht möchte, dass ich im Paradies ankomme. Er setzt alles daran, mich irrezuführen. Aber das sagen sie hier auf der Autobahn ja auch. Ich muss es mir durch die Lautsprecher immer und immer wieder anhören. Nur sagen sie, ich müsste auf der Autobahn bleiben und jeder, der die Ausfahrt nimmt, arbeite mit dem Feind zusammen. Aber es ist doch mein Navigationsgerät, auf das ich hören soll. Also muss ich jetzt rausfahren.
Ich frage mich: Kann ich mich nicht in zwei Teile teilen? Die eine Hälfte bleibt und sagt zu den anderen: »Ich bin noch da! Ich gehöre nicht zu denen, die diesen Weg verlassen.« So wissen sie, dass ich nicht zu den Verlorenen gehöre. Und die andere Hälfte folgt getreu dem Navigationsgerät, wie es ja sein sollte, denn schließlich hat es mich ja auch auf diese Autobahn geführt. Dann muss ich mich von ihm auch wieder hinausführen lassen dürfen. Aber wie soll das gehen? Man kann ja doch nur entweder das eine oder das andere tun.
Es bleibt mir doch nichts anderes übrig. Ich muss jetzt auf mein Navigationsgerät hören und rausfahren. Oder hast du eine bessere Idee?
Ich nehme die nächste Ausfahrt. Mir ist mulmig zumute und ich bin auch unangenehm peinlich berührt. Denn ich hatte ja zuvor denen den Vogel gezeigt, die rausgefahren sind. Und jetzt fahre ich raus? Und was erwartet mich draußen?
Eigentlich ist es ganz normal, dass man nicht ewig auf der Autobahn fährt, sondern bei der richtigen Ausfahrt auch wieder rausfährt. Das war bei allen anderen Fahrrouten ja auch so. Nur hier fahre ich schon so lange auf der Autobahn, dass ich mich frage, ob ich das Fahren auf anderen Straßen nicht vielleicht schon verlernt habe.
Es ist nun still geworden. Keine Lautsprecher ertönen mehr. Der ganze Lärm ist weg. Ich bin auf mich allein gestellt. Aber mein Navigationsgerät sagt mir mit leiser, ruhiger Stimme, wo ich weiterfahren kann. Es geht jetzt in die richtige Richtung, dem Paradies immer näher.
Ich hätte mich von Anfang an nur auf mein Navigationsgerät verlassen sollen. Aber es hat mich doch auf diese eigentümliche Autobahn geführt!
Dann überlegte ich, wie es doch oft bei vielen anderen Fahrzielen der Fall war. Die Fahrroute enthält eben einen Streckenabschnitt Autobahn, damit man einen Teil der Wegstrecke darauf fahren kann und schnell vorankommt. Doch selten führt die Autobahn direkt zu unserem Fahrziel. Man muss dann bei einer passenden Ausfahrt rausfahren und fährt dann auf anderen Straßen weiter. Nicht immer geht es nur geradeaus. Manchmal muss man rechts abbiegen und manchmal links. Würde man stattdessen geradeaus weiterfahren, hätte man sich verfahren und müsste wieder zurück. Auch wenn die Himmelsrichtung stimmt, muss die Straße nicht ans Ziel führen, denn sie macht vielleicht einen Bogen. Man hätte abbiegen müssen, denn eine andere Straße ist jetzt die zielführende. So läuft eine Fahrroute eigentlich immer. Daran hätte ich gleich denken können.
Wie habe ich mir das nur vorgestellt! Das Paradies direkt an einer lärmenden Autobahn? Vielleicht als eine Autobahninsel, um die man ständig fährt? Es ist doch völlig klar, dass im Paradies keine breiten Straßen mit vielen Autos und Lautsprechern sein können. Man wird das letzte Stück sogar zu Fuß gehen müssen, denn sonst wäre es kein Paradies, sondern voller Autos und Parkplätze.
Nur unser besonderes Navigationsgerät wird uns bis zum Paradies führen können, da es wie eine Pflanze ist und nicht von Menschen gemacht wurde. Auf der eigentümlichen Autobahn war alles von Menschen gemacht.
Die Straßen sind jetzt schmal. Aber es gibt genug zu essen. Man muss das Essen jetzt nur selbst zubereiten. Das ist aber viel schöner als auf der Autobahn, wo man von dem Lärm aus den Lautsprechern nur Kopfschmerzen bekam.
Ja, wie war das im Garten Eden bei Adam und Eva im Paradies. Sie mussten sich um nichts kümmern. Sie hatten Nahrung, die Früchte wuchsen einfach auf den Bäumen und sie mussten sie nur pflücken. Einen solchen Service wie auf dieser Autobahn hatten sie nicht und brauchten auch nicht, da sie einfach alles hatten. Und in ein solches Paradies will ich ja. Dazu hatte ich mich ja auf den Weg begeben. Wie konnte ich nur denken, dass mich die Autobahn direkt dorthin führt!
Selbst wenn das Ziel direkt neben der Autobahn wäre, müsste man rausfahren, um es zu erreichen. Denn ich kann ja nicht auf der Autobahn parken. Und das Paradies direkt an der Autobahn mit den Abgasen und dem Verkehrslärm? Und hier noch dazu der Lärm aus den Lautsprechern! Wie konnte ich das nur denken! Ich zeige mir selbst den Vogel und beschließe, nun immer auf mein Navigationsgerät zu hören.
Autor: Bernd Oelschlägel
CC-BY-SA 4.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0)
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